Die 71. Bundesingenieurkammer-Versammlung fand erstmalig in Brüssel statt. Die Delegierten der 16 Länderkammern diskutierten einen Steinwurf von der Europäischen Kommission entfernt über aktuelle Themen des Berufsstandes, europapolitische Entwicklungen, die das Bauwesen betreffen und die Zukunft der Kammern. Die BKV appelliert an den Gesetzgeber das Berufsaufsichtsrecht der Kammern zu stärken, sind sie doch der Garant für sicheres und nachhaltiges Bauen. Hierzu wurde die Brüsseler Erklärung verabschiedet.
Zum Auftakt der Veranstaltung begrüßte Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer, den Europaabgeordneten und Mitglied des Wirtschaftsausschusses ECON, Ralf Seekatz als Gastredner. Neben aktuellen europapolitischen Vorhaben und ihren Auswirkungen auf das deutsche Bauwesen, wie beispielsweise die geplante Überarbeitung der Bauprodukteverordnung, betonte der Europaabgeordnete die Notwendigkeit für die Kammern, auf europäischer Ebene sichtbar zu sein. Er bestärkte die Delegiertenversammlung, ihre Präsenz in Brüssel zu erhöhen und den Austausch mit Institutionen und den gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Bundesländer zu suchen.
Martin Böhme, Bevollmächtigter für Europaangelegenheiten der Bundesingenieurkammer, stellte im Anschluss die Arbeit der Freien Berufe im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vor und informierte über die aktuellen Projekte. So beteiligt er sich stellvertretend für die Kammern an den Diskussionen und geplanten Verordnungen zu Tech-Themen wie Künstliche Intelligenz und virtuellen Welten (Metaverse). Zudem unterstreicht er, wie wichtig es ist, kontinuierlich auf die Belange der Berufsstände hinzuweisen und für die Relevanz des Kammerwesens zu werben. Vor allem das frühzeitige Adressieren der Anliegen muss auf europäischer Ebene verstärkt werden. Er forderte die Delegierten auf, in ihren Bundesländern ebenfalls auf die europäischen Entwicklungen hinzuweisen. Ein Beispiel für die Bedeutung politischer Entwicklungen in Brüssel ist die aktuelle Überarbeitung der deutschen Vergabeverordnung (VgV) mit weitreichenden Folgen für die planenden Berufe.
Zukunft der planenden Berufe sicherstellen
Eine der zentralen Herausforderungen der Bau- und Ingenieurkammern sind die aktuellen gesetzgeberischen Entwicklungen und Initiativen in Deutschland, die sich negativ auf die Berufsausübung der planenden Berufe und auf das qualifizierte Planen und Bauen auswirken. So fordert die Bundesingenieurkammer, dass der Gesetzgeber sich die negativen Auswirkungen einer Streichung des § 3 Abs. 7 Satz 2 Vergabeverordnung bewusst macht und entsprechend gegensteuert. Die Zahl der deutlich aufwendigeren und kostspieligeren europaweiten Ausschreibungen von Planungsleistungen würde durch die Streichung erheblich zunehmen, ohne dass es für diese einen realen europäischen Markt gibt. In letzter Konsequenz bedeute dies bürokratischen Mehraufwand ohne Nutzen für Wettbewerb und Binnenmarkt. Die Kammern und Verbände der planenden Berufe haben in einer gemeinsamen Stellungnahme die Bundesregierung aufgefordert, auf die vorgesehene Streichung zu verzichten.
Die Bauministerinnen und Bauminister der Länder beschlossen Ende 2022 die Änderung des § 65 der Musterbauordnung. Hintergrund ist ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission. Mit der Umsetzung der neu gefassten Regelungen in Landesrecht wären inländische Bauingenieurinnen und Bauingenieure künftig bauvorlageberechtigt für Wohngebäude bis Gebäudeklasse 3 und gewerbliche Bauten mit z.T. erheblichen Dimensionen. Einzige Voraussetzung wäre künftig nur noch ein Studienabschluss der Fachrichtung Bauingenieurwesen. Der verpflichtende Nachweis einer vorhergehenden praktischen Tätigkeit wäre ebenso nicht mehr vorgesehen wie die Mitgliedschaft in der entsprechenden Bau- bzw. Ingenieurkammer des Landes, d.h. auch die Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung entfiele zum Beispiel. Diese neue Bauvorlageberechtigung ginge damit ganz erheblich – mit einschneidenden Folgen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung – über das hinaus, was in den Ländern, in denen eine beschränkte Bauvorlageberechtigung („Handwerkervorlage“) schon existiert, bisher geregelt ist. Die Bundesingenieurkammer hat in einem Positionspapier ihren Standpunkt erläutert. Aktuell stehen die Länderkammern im Austausch mit den jeweiligen Landesministerien. Darüber hinaus haben die BIngK und Bundesarchitektenkammer in einem gemeinsamen Schreiben auf die Fehlentwicklungen hingewiesen.
HOAI-Novellierung im vollen Gange
Der Prozess der inhaltlichen Überarbeitung der Leistungsbilder der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) kann voraussichtlich 2023 abgeschlossen werden. Noch final zu klären ist beispielsweise, wie Leistungen zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung in die HOAI integriert werden. Die zusätzliche planerische Arbeit zu Nachhaltigkeitsanforderungen und der Einsatz von BIM sind zwar von der Politik explizit gewünscht, sollen jedoch nicht extra honoriert werden. Die Mehranforderungen müssen nun in den einzelnen Leistungsbildern erfasst werden. Weiterhin stehen noch Themen wie Bauen im Bestand, und wie die Zielfindung in die Leistungsphase 1 eingebunden werden kann, zur Diskussion. Nach Abschluss der inhaltlichen Überarbeitung folgt die gutachterliche Überprüfung der Honorare durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. BIngK, BAK und der AHO sind auch hier eingebunden.
Aktuelle Agenda: IPA, Umbaukultur, Weiterbildung
IPA, Integrierte Projektallianzen, sind nicht nur im Projektmanagement ein aktuelles Thema, sondern haben auch das politische Berlin erreicht. Vor diesem Hintergrund tauschten sich die Delegierten über den Stand der Entwicklungen aus. Die Bundesingenieurkammer begleitet dieses Thema auf Bundesebene. Treffen mit dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) sowie relevanten Akteuren der Bauindustrie fanden bereits statt. Auch der Deutsche Baugerichtstag hat das Thema auf der Agenda. Das Bundesbauministerium ist bei der Durchführung von Pilotprojekten mit Mehrparteienverträgen interessiert, die Kammern und deren Mitglieder einzubeziehen. Im März veranstaltete das BMWSB gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum für Integrierte Projektabwicklung (IPA-Zentrum) eine Konferenz zum Thema „Integrierte Projektabwicklung“.
Auf der Bundesingenieurkammer-Versammlung 2022 in Frankfurt wurde die Gründung eines Ausschusses zum Thema „Bauen im Bestand“ beschlossen. Wie im Baukulturbericht 2022 gefordert, braucht es in Deutschland ein Umdenken im Umgang mit dem Gebäudebestand und eine Umbaukultur. Hierzu gehört auch, die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und Verordnungen anzupassen. Der neugegründete Ausschuss stellte sich nun in Brüssel vor. Zunächst ist die Erstellung eines Katalogs mit „best-practice“-Beispielen geplant.
Lebenslanges Lernen und Qualifizierung sind nicht nur durch Digitalisierung und steigende Nachhaltigkeitsanforderungen zentrale Bausteine der Kammerarbeit. Neben der einfacheren gegenseitigen Anerkennung von Weiterbildungsmaßnahmen der 16 Länderkammern, beschäftigt sich die Bundesingenieurkammer perspektivisch auch mit der Vereinheitlichung von Teilen der Schulungsangebote. Aktuell wurde dazu zum Beispiel die „Qualifizierungsoffensive Nachhaltigkeit“ als gemeinsame Initiative von Bundesingenieurkammer und Bundesarchitektenkammer auf der BAU 2023 vorgestellt.
Fotos: © Bundesingenieurkammer