Die aktuellen Zahlen zum Wohnungsbau in Deutschland und die sich fortsetzenden negativen Entwicklungen im Bausektor sind alarmierend. Gut, dass die Bauwirtschaft hier in den letzten Wochen nochmal lauter wurde. Denn es ist unverständlich und geradezu fahrlässig, dass die Bundesregierung nicht längst unserer Branche effektiv zur Seite gesprungen ist. So ist doch der Bausektor der wichtigste Wirtschaftszweig der deutschen Volkswirtschaft – mit einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 10 Prozent. Jetzt muss gegengesteuert werden, um den Auswirkungen von Pandemie und Ukrainekrieg und ihren Folgen wie Inflation, steigenden Zinsen und Energiekosten entgegenzuwirken. Denn dies sind alles Entwicklungen, auf die die Bauwirtschaft keinen direkten Einfluss hat und die nicht „industriegemacht“ sind. Den Gesprächsrunden mit dem Bundeskanzler und der Bundesregierung, an denen die Bundesingenieurkammer für die deutschen Ingenieurinnen und Ingenieure teilnimmt und die Stimme erhebt, müssen auch Taten folgen. Förderungen und Investitionen im Gießkannenprinzip sind keine adäquaten Antworten. Wenn in den nächsten Wochen und Monaten nicht umfassend reagiert wird, wirkt sich dies anhaltend auf die volkswirtschaftlichen Kennzahlen Deutschlands aus.
Ein schwieriges wirtschaftliches Umfeld darf uns aber nicht lähmen. Gerade in solchen Zeiten sind Pioniergeist, Unternehmertum und wirtschaftlicher Mut gefragt. Die kleinen und mittelgroßen freiberuflichen Strukturen der Ingenieurbüros verfügen grundsätzlich über die nötige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. So können Klima-, Bau- und Energiewende nur mit den Planungsstrukturen der kleinen und mittelgroßen Büros in den Regionen in der notwendigen Schnelligkeit umgesetzt werden. Doch auch hier müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Gewollt oder ungewollt, die Zeichen der Politik stehen leider aktuell nicht auf der Förderung des Unternehmertums und der Freiberuflichkeit. Die Änderungen des Vergaberechts, überbordende Bürokratisierung und der Fachkräftemangel drohen zu strukturellen Verwerfungen beim Planen und Bauen zu führen. Strukturen, die seit Jahrzehnten für erfolgreiches Wirtschaften stehen und zum wirtschaftlichen Wachstum nicht nur in den Ballungszentren, sondern bundesweit beigetragen haben. Dieses Erfolgsmodell eines flächendeckenden und ausreichenden Planungsangebotes sollte nicht leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden. Die kräftezehrenden Transformationsbemühungen der Politik dürfen nicht dazu führen, gerade die Akteure aus dem Blick zu verlieren, die aktuell benötigt werden. Die planenden Berufe in ihrer jetzigen Struktur müssen gestärkt werden. Der nächsten Generation von Ingenieurinnen und Ingenieuren müssen Perspektiven aufgezeigt werden, um die Freiberuflichkeit nachhaltig zu stärken. Unternehmertum muss sich schlichtweg weiterhin lohnen.
Dr.-Ing. Heinrich Bökamp
Präsident der Bundesingenieurkammer
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