Martin Böhme, Bevollmächtigter für Europaangelegenheiten der Bundesingenieurkammer und Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss in Brüssel, zur Europawahl 2024.
Die Wahlen zum Europäischen Parlament werfen nicht nur die Frage auf, wer die zukünftige politische Landschaft der Europäischen Union (EU) gestalten wird, sondern auch, wie die Europäische Kommission mit den auf uns zukommenden Herausforderungen umgehen wird. Während die EU in den vergangenen Jahren unter anderem mit der COVID-19-Pandemie und dem Brexit konfrontiert war, stehen wir nun vor einer neuen Phase, die ebenfalls von einer Reihe drängender Fragen geprägt sein wird.
Eine der zentralen Herausforderungen, denen sich die EU gegenübersieht, ist die Förderung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend digitalisierten Welt. Die Digitalisierung durchdringt alle Lebensbereiche und eröffnet sowohl Chancen als auch Herausforderungen für Unternehmen und Arbeitnehmer. Es ist entscheidend, dass die EU politische Rahmenbedingungen schafft, die es kleinen und mittleren Unternehmen und Freien Berufen ermöglichen, von den Chancen der Digitalisierung zu profitieren und gleichzeitig sicherzustellen, dass der digitale Wandel inklusiv und gerecht ist.
Eine weitere wichtige Herausforderung ist die Bewältigung des Klimawandels und die Sicherstellung einer nachhaltigen Entwicklung. Die EU hat ehrgeizige Ziele im Rahmen des Green Deals gesetzt, aber es bedarf weiterer Anstrengungen, um diese Ziele zu erreichen und den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu beschleunigen. Dies erfordert nicht nur Investitionen in erneuerbare Energien und nachhaltige Infrastruktur, sondern auch die Förderung von umweltfreundlichen Technologien und Geschäftsmodellen. Zentral dabei wird sein, die Menschen in Europa auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzunehmen.
In diesem Zusammenhang muss die EU den sozialen Zusammenhalt stärken und sicherstellen, dass niemand zurückgelassen wird. Der demografische Wandel und die steigende Ungleichheit stellen ernsthafte Herausforderungen dar, denen wir begegnen müssen. Dies erfordert Maßnahmen zur Förderung von Bildung, Aus-bildung und lebenslangem Lernen, um die Beschäftigungsfähigkeit der Menschen zu verbessern und den Zugang zu hochwertigen Arbeitsplätzen zu gewährleisten. Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung von Beschäftigten sind auch zentrales Interesse der Ingenieurinnen und Ingenieure.
Die Beendigung des Krieges in der Ukraine stellt eine der drängendsten Herausforderungen für die EU dar. Die Unterstützung der Ukraine ist von entscheidender Bedeutung, nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch, um die Stabilität in der Region zu gewährleisten. Die Lage in der Ukraine bleibt prekär, und die EU muss weiterhin diplomatische, militärische und politische Bemühungen verstärken, um eine Lösung des Konflikts zu erreichen und die territoriale Integrität der Ukraine zu gewährleisten.
Es bleiben zudem viele interne Herausforderungen. Eine Reform der EU-Institutionen ist unerlässlich. Die EU muss ihre Entscheidungsprozesse effizienter und transparenter gestalten und sicherstellen, dass sie besser in der Lage ist, auf die Bedürfnisse und Anliegen ihrer Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Dies erfordert möglicherweise eine Überprüfung der bestehenden institutionellen Strukturen und eine Anpassung der EU-Verträge, um die EU funktionsfähig zu halten und für die Zukunft zu stärken. Darüber hinaus muss die EU sicherstellen, dass sie weiterhin die Grundwerte und Prinzipien fördert, auf denen sie gegründet wurde, einschließlich der Achtung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Nur so kann die EU ihre Rolle als globaler Akteur effektiv weiterentwickeln.
In diesem Kontext kommt dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) eine entscheidende Rolle zu. Als beratendes Gremium der EU vertritt der EWSA die Interessen der Zivilgesellschaft und spielt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der EU-Politik. Insbesondere hat der EWSA in den letzten Jahren eine Vielzahl von Initiativen ergriffen, um die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen zu fördern, den sozialen Zusammenhalt in der EU zu stärken und der Stimme der Zivilgesellschaft Gehör zu verleihen.
Der EWSA hat Hunderte von Stellungnahmen zu einer Vielzahl von politischen Themen abgegeben, darunter auch zu Fragen der Digitalisierung, des Klimawandels und der Freien Berufe. Diese Stellungnahmen dienen als wichtige Grundlage für die Politikgestaltung der EU und tragen dazu bei, dass die Interessen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Wirtschaft angemessen berücksichtigt werden.
In diesem Zusammenhang sind auch die Freien Berufe von großer Bedeutung. Ingenieurinnen und Ingenieure tragen allen voran dazu bei, Innovationen voranzutreiben, die Infrastruktur zu verbessern und damit die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Sie benötigen eine Politik, die ihre Bedürfnisse und Interessen berücksichtigt und ihnen die Möglichkeit gibt, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Dazu gehören in erster Linie Maßnahmen zur Reduzierung von Bürokratie durch eine Vereinfachung von Ausschreibungen und Vorschriften, Beschleunigung von Genehmigungsverfahren sowie Regulierung und Förderung von Ausbildung und Weiterbildung.
Die Europäische Union und ihre Institutionen stehen vor großen Herausforderungen, aber auch Chancen. Mit den Wahlen zum Europäischen Parlament und der Neubildung der Europäischen Kommission haben die Bürgerinnen und Bürger der EU die Möglichkeit, die Zukunft Europas mitzugestalten und sicherzustellen, dass sie den Bedürfnissen und Interessen aller europäischen Bürgerinnen und Bürger gerecht wird.
Martin Böhme ist Bevollmächtigter für Europaangelegenheiten der Bundesingenieurkammer, seit 2012 Geschäftsführer der Ingenieurkammer Rheinland-Pfalz und seit 2020 Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss in Brüssel, wo er die Freien Berufe aus Deutschland repräsentiert.
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