Welchen Beitrag kann der Erhalt von Gebäuden in Sachen Klimaschutz leisten? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Baukulturberichts 2022/23 der Bundesstiftung Baukultur. Denn bei der Sanierung von Bestandsbauten entfällt ein klimaschädlicher Abriss und Neubau. Studienergebnisse des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie zeigen, dass ein im Jahr 2020 errichteter energieeffizienter Neubau bis zum Jahr 2050 eine dreifach so hohe CO2-Bilanz hat, als ein saniertes Bestandsgebäude. Die im Auftrag der Bundesstiftung erstellte Studie führt dies auf die entstehenden Herstellungs-Emissionen zurück. Heute verursacht der Bau- und Gebäudesektor annähernd die Hälfte der weltweiten klimaschädlichen CO2-Emissionen. Diese fallen nicht nur in der Nutzung, sondern auch bei Errichtung und Abriss eines Bauwerks an. Angesichts der sich verschärfenden Klimalage ist ein Umdenken beim der Gebäudesanierung notwendig. Wie der Paradigmenwechsel im Bausektor gelingen kann, greift der aktuelle Baukulturbericht „Neue Umbaukultur“ auf und zeigt Handlungsoptionen für Kommunen, Politik und Bauschaffende auf.
Big Six: Hürden der Umbaukultur
Da das aktuelle Baurecht auf den Neubau ausgerichtet ist, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen überarbeitet werden. „Erfolgreich kann der Paradigmenwechsel im Bausektor nur gestaltet werden, wenn die baukulturellen Werte des Bestandes erkannt, stärker geachtet und rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen angepasst werden“, sagt Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur.
Gemeinsam mit einem Fachgremium hat die Bundesstiftung Baukultur sechs Hemmnisse für das Bauen im Bestand identifiziert. Handlungsbedarf sehen die Experten bei den folgenden Themen: Vorgaben zu Wärmeschutz, Schallschutz, Brandschutz, Abstandsflächen, zur Barrierefreiheit und zum Stellplatzangebot. Für diese Big Six sollen neue Handlungsoptionen und Richtlinien entwickelt werden, die nicht nur ausnahmsweise, sondern regelhaft für den Umbau gelten. Sie fordern in der Bauordnung die Besonderheiten des Umbauens zu berücksichtigen und diese Vorschriften idealerweise Bundesländer übergreifend zu vereinheitlichen. Denn: „Rechtliche Vorgaben zu berücksichtigen, die erst nach Entstehen eines Gebäudes in Kraft getreten sind, wirft besondere Schwierigkeiten auf“, erklärt Reiner Nagel.
Umbaukultur für Gebäude und Quartiere
Als weiterer wichtiger Teil einer neuen Umbaukultur widmet sich der Baukulturbericht auch dem anhaltenden Umbau von Stadt und Land. Nicht erst seit Corona ist die resiliente, eine sich an veränderte Bedingungen anpassende Innenstadt mit Aufenthaltsqualität zentrale Umbauaufgabe vieler deutscher Klein- Mittel- und Großstädte. Die Kommunen stehen vor der Aufgabe, unsere Lebensräume an den Klimawandel anzupassen, Mobilitäts- und Energiewende umzusetzen und vielfältige, attraktive Orte für alle zu schaffen. Eine neue Umbaukultur bietet hierzu integrierte Lösungen. Bestehende Qualitäten von Städten, Orten und Landschaften werden dabei erkannt und dienen als Ausgangspunkt sowie Inspiration zur Weiterentwicklung. „Wir müssen den Gebäudebestand und die Quartiere in den Fokus nehmen, wenn es darum geht, Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig die Klimaresilienz und die Energieeffizienz zu steigern. Die Baukultur in Deutschland ist hier bereits auf einem guten Weg, da immer mehr alte Gebäude erhalten und weiterentwickelt werden. Diesen Trend gilt es zu verstärken“, sagt Cansel Kiziltepe, Stiftungsvorsitzende Bundesstiftung Baukultur.
forsa-Umfrage: Umbauen ist beliebter als Abriss
Analog zur grauen Energie hat die Bundesstiftung Baukultur den Begriff der goldenen Energie geprägt. Goldene Energie bezeichnet dabei die immateriellen und ideellen Werte der Bauwerke sowie ihre bauzeitlichen und historischen Besonderheiten und ihre Integration ins Umfeld. Eine neue Umbaukultur eröffnet die Chance, Vertrautes weiterzubauen und dabei eine neue, ganz individuelle Gestaltungssprache zu entwickeln. So kann aus grauer Energie goldene werden. Mit 82 Prozent spricht sich denn auch die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland für den Erhalt von bestehenden Gebäuden aus. Dies hat eine repräsentative forsa-Umfrage ergeben, die von der Bundesstiftung Baukultur beauftragt wurde. Dass Qualität und Umbaupotenzial eines Gebäudes geprüft werden sollten, ehe über seinen Abriss entschieden wird, befürworten sogar 88 Prozent. Jeder zweite Deutsche hat schon einmal den Abriss eines Gebäudes bedauert oder sich darüber geärgert. „Die forsa-Umfrage zeigt: Erhalt und Umbau stehen bei der Bevölkerung hoch im Kurs“, sagt Reiner Nagel. „80 Prozent der Befragten sehen darin sogar die Möglichkeit, Orte neu zu beleben und zu verschönern.“
Ergänzende Projektstufen zu HOAI
Die Phasen 1-9 der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure wurden um die Phase Null „Basis“ und Phase Zehn „Potenzial“ eines Projekts ergänzt.