Stellungnahme der Bundesingenieurkammer zur Änderung der Musterbauordnung (MBO)

Stellungnahme der Bundesingenieurkammer zur Änderung der Musterbauordnung (MBO)

Stellungnahme der Bundesingenieurkammer zur Änderung der Musterbauordnung (MBO) 150 150 Bundesingenieurkammer

Die Bundesingenieurkammer vertritt die gemeinschaftlichen Interessen der 16 Länderingenieurkammern als berufsständische Selbstverwaltung und damit die Interessen der darin mitgliedschaftlich organisierten rund 45.000 Ingenieurinnen und Ingenieure auf Bundes- und Europaebene. Die Bundesingenieurkammer unterstützt die Bestrebungen, Änderungen an den Bauordnungen der Länder über eine Änderung der MBO abzustimmen und diese einheitlich in den Landesbauordnungen zu übernehmen. Die einheitliche Normierung bauordnungsrechtlicher Anforderungen und Sicherheitsstandards in allen Bundesländern liegt sowohl im Interesse der Verbraucher als auch der bundesweit tätigen Planer.

Zu dem mit Schreiben vom 25.08.2020 übermittelten Entwurf zur Änderung der MBO wird auf Grundlage der dazu aus den Fachgremien der Länderkammern eingegangenen Anmerkungen nachfolgend Stellung genommen.

Die Bundesingenieurkammer unterstützt insbesondere den im Entwurf der MBO verfolgten Ansatz, die Regelungen zur Barrierefreiheit weiter fortzuschreiben. Barrierefreies Bauen erhält eine immer größere Bedeutung, da aufgrund der demographischen Entwicklung die Zahl der Menschen mit Behinderungen oder Mobilitätsbeeinträchtigungen weiter steigt. Dennoch wurden insbesondere hinsichtlich der Belange der Barrierefreiheit im Entwurf Defizite festgestellt. Ferner gewährleistet der Entwurf zur Änderung der Musterbauordnung aus der Sicht der Planerinnen und Planer hinsichtlich der Umsetzung der Barrierefreiheit nicht die Herstellung von Nutzerketten und ermöglicht dadurch keine nutzbare Barrierefreiheit. Darüber hinaus enthält der Entwurf Widersprüche zu Bundesgesetzen und teilweise auch innerhalb der MBO.

Zu den einzelnen Punkten nehmen wir wie folgt Stellung:

§ 2 Begriffe
In der Definition zur Barrierefreiheit in § 2 (9) E-MBO fehlt das in § 4 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) enthaltenen Merkmal der Auffindbarkeit. Beide Normen widersprechen sich bzw. sind nicht kohärent.
Ferner bleiben Infrastruktureinrichtungen barrierefreier Wohnungen unberücksichtigt. Damit ist die Nutzung der Wohnungen in der allgemein üblichen Weise (§ 2 MBO) nicht gewährleistet. Zu § 2 Abs. 3 und Abs. 4 wäre eine Legaldefinition des Begriffs „Nutzungseinheit“ wünschenswert und auch notwendig, da es in der Praxis erhebliche Unklarheiten gibt, wann eine Nutzungseinheit oder eine Teilnutzungseinheit vorliegt. Gleiches gilt auch für die Abgrenzung von Nutzungseinheiten und Gebäuden (z.B. Reihenhaus der GK 2).

§ 33 Erster und zweiter Rettungsweg
In § 33 Abs. 1 sollte eine Ausnahmeregelung von der Notwendigkeit eines zweiten unabhängigen Rettungsweges ins Freie aufgenommen werden. Bei Nutzungseinheiten, aus denen von jeder Stelle des Aufenthaltsraumes aus nach 25 Metern direkt und sicher ins Freie gelangt werden kann ist diese zwingende Vorgabe nicht erforderlich.

§ 39 Aufzüge
Die Einschränkung in § 39 „dies gilt nicht beim nachträglichen Ausbau des obersten Geschosses oder bei der Aufstockung um bis zu zwei Geschosse“ sollte gestrichen werden.
Grundsätzlich muss jedes mehrstöckige öffentlich zugängliche Gebäude in sinnvoller Weise mit Aufzügen erschlossen werden, die zur Evakuierung genutzt werden können. Alles andere widerspricht dem Gleichstellungsgrundsatz des Grundgesetzes und dem Benachteiligungsverbot des Behindertengleichstellungsgesetzes.
In der MBO findet sich außerdem nichts zur Nachrüstung von Aufzügen in Abstandsflächen bei Bestandsbauten. Es wird daher vorschlagen, bei den Abstandsflächen eine Formulierung entsprechend § 6 Abs. 9 der Landesbauordnung NRW von 2019 in die MBO zu übernehmen:
(9) Bei der Änderung von vor dem 1. Januar 2019 zulässigerweise errichteten Gebäuden mit Wohnungen bleiben Aufzüge, die vor die Außenwand vortreten, bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht, wenn sie nicht länger als 2,50 m und nicht höher als 0,50 m über dem oberen Abschluss des obersten angefahrenen Geschosses mit Wohnungen sind, nicht mehr als 2,50 m vor die Außenwand vortreten und von den gegenüberliegenden Nachbargrenzen mindestens 1,50 m entfernt sind.
Damit würden sich deutlich mehr Möglichkeiten ergeben, die barrierefreie Erreichbarkeit der Geschosse von Bestandsbauten zu verbessern.

§ 48 Wohnungen
In der Begründung zu § 48 Abs. 4 ist ausgeführt, dass eine Prüfung durch Sachverständige oder Sachkundige entbehrlich ist und ein Funktionstest (auch durch ungeschulte) Personen entsprechend der Herstellervorgaben ausreichend ist. Im Entwurf ist jedoch nicht geklärt, wer für das Vorhandensein und die Funktion des Rauchmelders verantwortlich ist. Eine bau- ordnungsrechtliche Maßnahme muss sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Polizeirechts bei der Störerauswahl vorrangig gegen den Verhaltens- und Zustandsstörer richten.
Im Falle der Rauchwarnmelder ist dies vorrangig der Bauherr bzw. Eigentümer. Setzt hingegen der Mieter einen einfachen Rauchwarnmelder in seiner Wohnung außer Betrieb (z.B. durch Entnahme der Batterie) so kommt dieser als Verhaltensstörer in Betracht.
Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, in § 48 Abs. 4 einen weiteren Satz (3) anzufügen, um diesen Verantwortungsbereich eindeutig zu regeln. Dies kann durch einen ergänzenden Satz 3 erfolgen, wie er sich z.B: auch in § 48 Abs. 4 Satz 3 der Bauordnung NRW wiederfindet:
„Die Betriebsbereitschaft der Rauchwarnmelder hat die unmittelbare besitzhabende Person sicherzustellen, es sei denn, die Eigentümerin oder der Eigentümer übernimmt diese Verpflichtung selbst.“
Damit würde klargestellt, dass auch der Eigentümer diese Verpflichtung übernehmen kann. Dies kommt üblicher Weise z.B. bei Wohnungsbauunternehmen in Frage, die ihrerseits dafür Sorge tragen, dass Rauchwarnmelder nicht nur eingebaut, sondern auch der Service über die Betriebsbereitschaft sichergestellt wird.

§ 50 Barrierefreies Bauen
Die Freisitzregelung in § 50 (Kommentar) ermöglicht keine zufriedenstellende Teilhabe. Mit einer eingeschränkten Nutzbarkeit ist die Nutzung der Wohnungen in der allgemein üblichen Weise (§ 2 MBO) nicht gewährleistet.
In § 50 Abs. 4 sollte die Mehraufwandsregelung kein Ausschlusskriterium für den Aufzugseinbau darstellen. Der Aufzugseinbau ist häufig eine essenziell notwendige Maßnahme zur Herstellung der Barrierefreiheit öffentlich zugänglicher Gebäude.
Auch Spielplätze sind wichtige Bildungsorte. Die Musterbauordnung enthält in § 8 jedoch keinen Hinweis auf die barrierefreie Erreichbarkeit und Nutzbarkeit von Spielplätzen. Dies schließt Kinder und Eltern mit Behinderungen in eklatanter Weise von der Teilhabe in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld aus. Dies widerspricht den Benachteiligungsverboten des Grundgesetzes und des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes.
Ferner gibt es in der MBO keine Regelungen zum barrierefreien Brandschutz. § 33 Abs. 2 sieht nur Rettungswege über Treppen vor. Damit schließt er den Einsatz von Aufzügen als barrierefreie Rettungswege aus, obwohl diese als Sicherheits-, Evakuierungs- oder Feuerwehraufzüge sicher für die Rettung einsetzbar sind. Der Entwurf der MBO enthält auch nichts zur Nachrüstung von Aufzügen in Abstandsflächen von Bestandsbauten (siehe die o.g. Formulierung der LBO NRW). In der Folge geht für Menschen mit Behinderungen eine wichtige Rettungschance und die Möglichkeit der Selbstevakuierung verloren. Dies widerspricht auch der UN-BRK.
Ferner wird es für notwendig erachtet, dass zur Sicherstellung baulicher Barrierefreiheit die Abgabe eines „Konzeptes Barrierefreiheit“ mit den Baugenehmigungsunterlagen vorgeschrieben wird. Hier sollen barrierefreie Nutzungsketten und barrierefreie Rettungswege nachgewiesen werden.
Eine Prüfung dieser Unterlagen im Baugenehmigungsprozess durch qualifizierte Fachingenieure ist unverzichtbar, um sicher zu stellen, dass die Belange der Barrierefreiheit zukünftig ausreichende Berücksichtigung finden.
Die Bauordnung setzt grundsätzlich Mindestanforderungen fest, die von den Bauherren einzuhalten sind, aber auch übererfüllt werden dürfen. Leider ist in der Praxis festzustellen, dass die Regelungen der genau nachvollzogen werden und im Entwurf oft nur das Minimum Berücksichtigung findet.

§ 62 Genehmigungsfreistellung
Eine Erweiterung der Genehmigungsfreistellung auf alle Bauvorhaben außer Sonderbauten sollte vor dem Hintergrund zunehmender sicherheitstechnischer Anforderungen z.B. in den Bereichen Brandschutz, Standsicherheit sowie zur Energieeffizienz von Gebäuden unterbleiben.
Selbst im Rahmen einer Genehmigungsfreistellung ist es unabdingbar erforderlich, dass Bauvorlagen, mit Ausnahme der bautechnischen Nachweise, von Entwurfsverfasserinnen oder Entwurfsverfassern gefertigt werden, die nach § 65 Abs. 3 bauvorlageberechtigt sind.
Die Entwurfsverfasserinnen oder Entwurfsverfasser, die Aufstellerinnen oder Aufsteller der bautechnischen Nachweise und die Fachplanerinnen oder Fachplaner nach § 55 Abs. 2 sollen die Erklärung abgeben, dass die von ihnen gefertigten Bauvorlagen den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entsprechen.
Auch die bautechnischen Nachweise müssen von Personen aufgestellt sein, die die Anforderungen gemäß § 66 Abs. 1 und 2 erfüllen.
Wenn eine Entlastung des Baugenehmigungsverfahrens beabsichtigt wird, sollte der Gesetzgeber im Interesse erhöhter Sicherheit zumindest verlangen, dass die erforderlichen Vorlagen von Fachleuten mit entsprechender Vorbildung und Erfahrung angefertigt und verantwortet werden (s. auch BVerfGE 68, 272-287).

§ 73 Geltungsdauer der Genehmigung
In der Begründung zu § 73 Abs. 1 Nr. 2 – „Die Verlängerung der zulässigen Unterbrechung auf zwei Jahre“ – handelt es sich womöglich um einen Zitierfehler, da im Gesetzeswortlaut selbst ein Unterbrechungszeitraum von drei Jahren genannt wird.

Digitalisierung des Bauantragsverfahrens
Darüber hinaus wird im Hinblick auf die von der Bauministerkonferenz beschlossene Digitalisierung der bauaufsichtlichen Verfahren nochmals auf die gemeinsame Stellungnahme der Bundesingenieurkammer und der Bundesarchitektenkammer vom Dezember 2019 verwiesen. Die Bundesingenieurkammer und Bundesarchitektenkammer bieten darin im Auftrag der Architekten,- und Ingenieurkammern der Länder an, für das digitale Baugenehmigungsverfahren eine zentrale Schnittstelle zur bauaufsichtlichen Prüfung der Bauvorlageberechtigung des Entwurfsverfassers zur Verfügung zu stellen.
Die Länderkammern haben sich zur Entwicklung einer gemeinsamen Datenbank bereit erklärt, die über den XBau-Standard in den Digitalisierungsprozess eingebunden ist und den Baubehörden Auskunft über die Bauvorlageberechtigung gibt. Mit diesem Angebot bringen sich die Planerkammern aktiv in das Musterverfahren des IT-Planungsrates ein.

Berlin, 30.09.2020

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