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Eva Hämmerle

BKV in Stuttgart

BKV: Länderkammern tagen zu aktuellen Entwicklungen

BKV: Länderkammern tagen zu aktuellen Entwicklungen 2560 1440 Bundesingenieurkammer

In Stuttgart drehte sich zwei Tage vom 5. bis 6. Oktober 2023 alles um das Ingenieurwesen und dessen aktuelle wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen. Zwei Mal im Jahr findet turnusmäßig die Bundesingenieurkammer-Versammlung (BKV) statt. Dann treffen sich Vertreterinnen und Vertreter der Landeskammern mit der Bundesingenieurkammer um die Tätigkeitsschwerpunkte der nächsten Monate und Jahre abzustimmen.

Traditionell bildete die Abendveranstaltung am Vortag, zu der die Ingenieurkammer Baden-Württemberg eingeladen hatte, den Auftakt der Herbsttagung. Interessierte konnten vorher am Nachmittag an einer Besichtigung des Großprojektes Stuttgart 21 teilnehmen – ein Angebot, das zahlreich angenommen wurde.

Bericht des Präsidenten: Politischer Austausch läuft auf Hochtouren
Die wirtschaftliche Lage der Bauwirtschaft und ihre Auswirkungen auf die planenden Berufe war eines der zentralen Themen im Bericht des Präsidenten. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen im Bausektor gab und gibt es zahlreiche politische Initiativen, an denen die Bundesingenieurkammer mitwirkt.

Der Wohnungsbaugipfel des Bundeskanzlers am 25. September 2023 stand medial im Mittelpunkt, an dem auch BIngK-Präsident Dr. Heinrich Bökamp teilgenommen hat. Die Bundesingenieurkammer vertritt kontinuierlich die am Bauwesen beteiligten Ingenieurinnen und Ingenieure im „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ von Bundesbauministerin Geywitz. Viele der Punkte des Maßnahmenpakets wurden in den letzten Wochen und Monaten zwischen Wirtschaft und Politik ausgehandelt. Doch es bleibt abzuwarten, ob die neu bereitgestellten Gelder und Steuererleichterungen den „Baumotor“ soweit hochfahren, dass der dringend benötigte Wohnraum im entsprechenden Umfang geschaffen wird.

BIngK-Präsident Bökamp betonte erneut, dass es grundlegend erforderlich ist, in den nächsten Wochen und Monaten wieder für Planungssicherheit und Vertrauen bei Geldgebern zu sorgen. Den Ländern und der im November stattfindenden Bauministerkonferenz der Länder fällt dabei, so Bökamp, eine zentrale Rolle zu.

Weitere Initiativen, an denen die Bundesingenieurkammer aktuell intensiv mitwirkt, sind u. a. „Runder Tisch serielles Bauen“, „Holzbauinitiative der Bundesregierung“ und „Digitaler Gebäuderessourcenpass“. Zudem gehört die Bundesingenieurkammer dem neugegründeten Beirat der Bundesstiftung Bauakademie an.

Lucio Blandini, Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) Universität Stuttgart

Den Auftakt der BKV bildete ein Vortrag von Professor Lucio Blandini, Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) Universität Stuttgart. Er hob die Bedeutung der Forschung in diesem Gebiet vor den aktuellen Herausforderungen der Bauwende hervor.

Das ILEK vereinigt in Forschung und Lehre Architektur mit Bauingenieurwesen. Auf der Grundlage einer interdisziplinären Vorgehensweise befasst sich das Institut mit der konzeptionellen und werkstoffübergreifenden Entwicklung von allen Arten von Bauweisen, Gebäudehüllen und Tragstrukturen.

Der Vortrag war Impuls für die spätere Diskussion zur Weiterentwicklung des Ingenieurwesens und des Berufbildes.

Auftragswertberechnung: BKV stimmt für koordiniertes Vorgehen
Nicht nur die öffentlichen Auftraggeber fühlen sich nach der Streichung von § 3 Abs. 7 Satz 2 Vergabeverordnung (VgV) von der Bundespolitik im Stich gelassen, sondern auch die planenden Berufe. Denn die vermeintlich klarstellenden Erläuterungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zur Bewältigung der Herausforderungen nach der – aus Sicht der BIngK vollkommen unnötigen – Streichung des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV tragen nicht zur Rechtssicherheit der Vergabe bei.

Die Bundesingenieurkammer spricht sich dafür aus, den alternativen Ansatz der Verordnungsbegründung umzusetzen:  Dieser sieht die Ausschreibung eines gemeinsamen Bauauftrages vor, um die höheren Schwellenwerte der Ausführung nutzen zu können und die anschließende losweise Vergabe der Planungsleistungen. ­­­­­­­­­

Vorsitzende des Arbeitskreises (AK) Vergabe der Bundesingenieurkammer, Dr.-Ing. Werner Weigl

Der Vorsitzende des Arbeitskreises (AK) Vergabe der Bundesingenieurkammer, Dr.-Ing. Werner Weigl, macht jedoch deutlich, dass das Bundeswirtschaftsministerium vor dem Hintergrund des noch immer nicht abgeschlossenen EU-Vertragsverletzungsverfahrens wohl keine weitergehenden Erläuterungen dazu abgeben werde.

Die BKV verabschiedete deshalb mit großer Mehrheit ein koordiniertes und konzertiertes Vorgehen, um der fehlenden Rechtssicherheit und den vielen nun drohenden zusätzlichen europaweiten Ausschreibungen, die unverhältnismäßig aufwändig sind, zu begegnen.

Gelungene Harmonisierung: einheitliche berufsrechtliche Anforderungen
Ziel der Länderkammern ist es seit längerem, berufsrechtliche Anforderungen bundesweit zu vereinheitlichen. Eine solche Harmonisierung ermöglicht eine schnellere und unbürokratischere Anerkennung in den einzelnen Bundesländern und vereinfacht die Berufsausübung erheblich. In Stuttgart wurde die Diskussion nun abgeschlossen: Die BKV sprach sich mehrheitlich für einheitliche Anforderungen an Brandschutz-Nachweisberechtigte aus. Die Arbeitsgruppe Brandschutz des AK Listenharmonisierung der Bundesingenieurkammer, unter Leitung von Dipl.-Ing. Udo Kirchner, erarbeitete in den letzten Monaten ein Profil, das nun einheitlich in der Musterbauordnung aufgegriffen werden sollte.

Die BKV beschloss, der Bauministerkonferenz dieses Vorgehen vorzuschlagen. BIngK-Präsident Bökamp bedankte sich abschließend bei Dr.-Ing. Frank Rogmann, Vorsitzender des AK Listenharmonisierung der Bundesingenieurkammer, für die erzielten Ergebnisse und die Standhaftigkeit: Denn 16 Ingenieurkammern zu einer Harmonisierung ihrer gewachsenen Berufsbilder zu bewegen, war kein leichtes Unterfangen.

Stempel Qualifizierte Vergabeberaterin Qualifizierter Vergabeberater

Vereinheitlichung beim Design: Das Stempeldesign für die „Qualifizierte Vergabeberaterin“ bzw. den „Qualifizierten Vergabeberater“ wird auf Initiative der Ingenieurkammer-Bau NRW künftig vereinheitlicht.

Stephan Engelsmann, Präsident der Ingenieurkammer Baden-Württemberg

Plädoyer für gemeinsamen Forderungskatalog

Prof. Dr.-Ing. Stephan Engelsmann, Präsident der Ingenieurkammer Baden-Württemberg, verwies in seiner Begrüßungsrede zur Abendveranstaltung auf die Bedeutung und lange Tradition des Ingenieurstandorts Stuttgart und Baden-Württemberg. Das Zusammenspiel von Forschung, Lehre und Praxis habe sich in der Region seit Jahrzehnten etabliert.

Vor dem Hintergrund des Wohnungsbaugipfels unterstrich er die wirtschaftlich wichtige Aufgabe der Länder, die nun die beschlossenen Maßnahmen umsetzen müssen. Er forderte die Teilnehmer der BKV auf, vereint ihre Forderungen an die Politik im Vorfeld der Bauministerkonferenz zu formulieren.

Abschließend ging er auf die Ingenieurbaukunst des Veranstaltungsortes „CUBE“ ein. Der Glaskubus wurde maßgeblich von Werner Sobek konzeptioniert und bot einen beeindruckenden Blick auf die abendliche Stuttgarter Skyline mit dem „Historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst“, dem Stuttgarter Fernsehturm.

72 BKV in Stuttgart

Die Ingenieurkammer Baden-Württemberg ermöglichte es den BKV-Teilnehmer am Vortag das Großprojekt Stuttgart 21 zu besichtigen. Das Angebot wurde zahlreich angenommen.

Fotos des Rundgangs und der Veranstaltunge finden sich hier.

Fotos: © Bundesingenieurkammer

Baukulturwerktstatt Mobilität

Baukulturwerkstatt Dresden „Mobilität und Raum“

Baukulturwerkstatt Dresden „Mobilität und Raum“ 400 245 Bundesingenieurkammer

Die Bundesstiftung Baukultur lädt am 16. und 17. Oktober zur Baukulturwerkstatt „Mobilität und Raum“ nach Dresden ein.

Verkehr soll umweltfreundlicher, nachhaltiger und integrativer werden. Damit dies gelingt, müssen alternative Verkehrsarten zum motorisierten und emissionsreichen Individualverkehr ausgebaut und miteinander verknüpft werden. Was bei der Diskussion oft vernachlässigt wird: Mobilität findet immer in einem räumlichen Kontext statt. Ihre Organisation hat große Auswirkung auf die Gestaltung unserer Lebensräume. Aus dem Erbe der autogerechten Stadt können Schlüsse gezogen werden, welche Gefahren darin liegen, ein Verkehrssystem und nicht den Menschen in den Mittelpunkt unserer Planungen zu stellen.

Die Baukulturwerkstatt widmet sich der Wechselbeziehung zwischen Mobilität und Raum und versucht Antworten darauf zu finden, wie die Gestaltung unserer Infrastruktur und deren Bauwerke als baukulturelle Aufgabe verstanden werden kann.

Die Bundesingenieurkammer ist Kooperationspartner der Baukulturwerkstatt. Dipl.-Ing. Konrad Rothfuchs, Vizepräsident der Hamburgischen Ingenieurkammer-Bau, wird als Redner an der Veranstaltung teilnehmen. Im Deutschen Ingenieurblatt veröffentlichte er im August den Beitrag „Wir müssen unseren Blick um mehr als 1,5 Grad ändern“ – ein Denkanstoß zur Verkehrswende.

Foto: © Bundesstiftung Baukultur

KfW-Förderung Wohneingentum für Familien

Neue KfW-Förderbedingungen „Wohneigentum für Familien“ ab 16. Oktober

Neue KfW-Förderbedingungen „Wohneigentum für Familien“ ab 16. Oktober 1920 1080 Bundesingenieurkammer

Auch Familien mit einem höheren Jahreseinkommen sind künftig für die Förderung „Wohneigentum für Familien“ (WEF) berechtigt und die Kredithöchstbeträge werden erhöht. Die Einkommensgrenze wird von bisher 60.000 Euro auf 90.000 Euro für eine Familie mit einem Kind angehoben, je weiteres Kind um weitere 10.000 Euro. Zusätzlich werden die von der Kinderzahl abhängigen Kredithöchstbeträge um bis zu 35.000 Euro erhöht. Die verbesserte KfW-Förderung von Wohneigentum für Familien startet am 16. Oktober 2023.

Die übrigen Förderbedingungen bleiben unverändert: Gefördert wird der Neubau sowie der Ersterwerb (innerhalb von 12 Monaten nach Bauabnahme gemäß § 640 BGB) neu errichteter klimafreundlicher und energieeffizienter Wohngebäude zur Selbstnutzung in den Stufen „Klimafreundliches Wohngebäude“ und „Klimafreundliches Wohngebäude – mit QNG“. Pro Antrag kann maximal eine Wohneinheit gefördert werden. Antragsberechtigt sind Privatpersonen oder Haushalte, die zu mindestens 50 Prozent (Mit-)Eigentum an selbstgenutztem Wohneigentum erwerben möchten und in denen mindestens ein leibliches oder angenommenes Kind gemeldet ist, das zum Zeitpunkt des Antrags das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

Die Förderung umfasst bis zu 100 Prozent der förderfähigen Investitionen, d. h. die gesamten Ausgaben für das Bauwerk, die Leistungen der Fachplanung und Baubegleitung, einschließlich der Dienstleistungen für Lebenszyklusanalyse und Nachhaltigkeitszertifizierung. Bei Eigenleistung sind die Ausgaben für das Material förderfähig. Weitere Informationen unter www.kfw.de/300.

Was wird gefördert?

Gefördert werden Neubau und Erstkauf – als Erstkauf (oder Ersterwerb) gilt ein Kauf bis 1 Jahr nach Bau­abnahme -, selbstgenutzter und klimafreundlicher Wohngebäude und Eigentumswohnungen in Deutschland.

Gefördert werden die Stufen:

Klimafreundliches Wohngebäude

Ein Wohngebäude erreicht diese Förder­stufe, wenn es

– die Effizienz­haus-Stufe 40 erreicht,
– in seinem Lebenszyklus so wenig CO2 ausstößt, dass die An­forderung an Treibhaus­gas­emissionen des „Qualitäts­siegels Nachhaltiges Gebäude Plus“ erfüllt werden und
– nicht mit Öl, Gas oder Biomasse beheizt wird.

Klimafreundliches Wohngebäude – mit QNG

Ein Wohngebäude erreicht diese Förderstufe, wenn es

– die Effizienz­haus-Stufe 40 erreicht,
– die An­forderungen des „Qualitätssiegels Nachhaltiges Gebäude Plus“ (QNG-PLUS) oder des „Qualitäts­siegels Nach­haltiges Gebäude Premium (QNG-PREMIUM)“ erfüllt, bestätigt durch ein Nach­haltig­keits­zertifikat, und
– nicht mit Öl, Gas oder Biomasse beheizt wird.

In beiden Förderstufen fördern wir die folgenden Maßnahmen:
– den Bau und den Kauf
– die Planung und Bau­be­gleitung durch die Experten für Energie­effizienz und Berater für Nach­haltig­keit
– die Nach­haltigkeits­zertifizierung

Foto: © Tatiana Syrikova/Pexels

Gebäudetyp e

Gebäudetyp-e: Interview mit Minister Marco Buschmann

Gebäudetyp-e: Interview mit Minister Marco Buschmann 1280 720 Bundesingenieurkammer

Der Gebäudetyp-e soll der Überregulierung Einhalt gebieten. Die Idee: Planende und institutionelle Bauherren sollen sich ohne Haftungsrisiko darauf einigen können, die Schutzziele der Bauordnungen zu wahren – nicht mehr und nicht weniger. Rechtlich wirft das einige Fragen auf. Gemeinsam mit Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann, BAK-Präsidentin Andrea Gebhard und BIngK-Präsident Dr. Heinrich Bökamp sprach die Chefredakteurin des Deutschen Architektenblatts, Dr. Brigitte Schultz, im Interview über die Einschätzungen von Politik und Berufsstand.

Brigitte Schultz: Sehr geehrter Herr Bundesminister, liebe Frau Gebhard, lieber Herr Bökamp: Der Gebäudetyp-e stößt in Politik und den Medien auf großes Interesse. In mehreren Bundesländern wird daran gearbeitet, in den Bauordnungen Abweichungen von technischen Baubestimmungen zu erleichtern. Liebe Frau Gebhard: Ist dies aus Sicht von Bundesarchitekten- und Bundesingenieurkammer nicht schon ein wichtiger Fortschritt?

Andrea Gebhard: Auf jeden Fall, wobei wir darauf hinwirken müssen, dass die Bauordnungen auch in diesem Bereich möglichst einheitlich werden. Gerade aber auch jenseits des Bauordnungsrechts gibt es viele weitere Normen und Regeln, die ebenfalls zu den sogenannten anerkannten Regeln der Technik gehören können. Viele dieser Standards tragen zur Verteuerung des Bauens bei und verhindern dringend notwendige Innovationen im Sinne des nachhaltigeren und experimentellen Bauens.

Marco Buschmann: Diese Einschätzung teile ich. Das Normenwesen ist an sich eine gute Sache, aber es scheint doch auch überbordende Entwicklungen zu geben. Das müssen wir uns ansehen.

Lieber Herr Bökamp, BAK und BIngK haben sich in diesem Zusammenhang in einem gemeinsamen Schreiben an das Bundesjustizministerium gewandt. Wieso?

Heinrich Bökamp: Uns wurde von Anfang an von verschiedenen Seiten, auch aus der Richterschaft, signalisiert, dass das Zivilrecht einer praktischen Durchsetzung des Gebäudetyps-e entgegenstehen würde. Andere bestreiten das.

Sehr geehrter Herr Buschmann, wie stehen Sie zu der Idee, mit weniger Normen und Regeln zu planen und zu bauen?

Buschmann: Ich unterstütze den mit dem Gebäudetyp-e verbundenen Ansatz. Als Bundesministerium der Justiz wollen wir bürokratische Hürden abbauen und Verfahren vereinfachen. Und Sie haben es schon angesprochen: Auch die Länder sind dabei, das Bauordnungsrecht zu liberalisieren. Damit das möglichst einheitlich geschieht, wird mit Unterstützung des Bundesbauministeriums an einer Änderung der Musterbauordnung gearbeitet. Zugleich gibt es Gespräche mit dem DIN als maßgeblichem Normgeber, wie bei Normen stärker zwischen sicherheitstechnisch notwendigen Regelungen und zusätzlichen Komfortstandards unterschieden werden kann.

Und wie schätzen Sie als Bundesjustizminister die Thematik aus zivilrechtlicher Sicht ein? Gibt es schon konkrete Überlegungen?

Buschmann: Wir müssen beleuchten, ob es gesetzgeberischer Maßnahmen bedarf oder ob die von Ihnen angesprochenen Herausforderungen nicht auf anderer Ebene gelöst werden müssten. Daher möchten wir hierzu die Einschätzung möglichst vieler Beteiligter hören. Ich bin dem Bauministerium dankbar, dass es im Rahmen des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat, in der wir mit Ihnen, also den Planerinnen und Planern, aber ebenso mit der Bauherrenseite und den ausführenden Unternehmen offen reden: Wo liegt der Hase wirklich im Pfeffer?

Interview Gebäudetyp-e

Von links nach rechts: Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann, BAK-Präsidentin Andrea Gebhard und BIngK-Präsident Dr.-Ing. Heinrich Bökamp

Der Deutsche Baugerichtstag hat Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB, immerhin empfohlen.

Buschmann: Der achte Deutsche Baugerichtstag hat angesichts der Rechts- und Verwaltungspraxis empfohlen, dass die Voraussetzungen für eine abweichende Regelung gesetzlich geregelt werden. Zum vollständigen Bild zählt aber auch: Der Baugerichtstag hat ebenso festgehalten, dass es den Vertragsparteien bereits jetzt freisteht, von den allgemein anerkannten Regeln der Technik nach unten abzuweichen, sofern es sich nicht um einen rechtlich zwingenden Standard handelt. Prinzipiell kann man daher auch ohne Änderung des BGB schon heute mit weniger Normen und Standards planen und bauen – solange sich die Vertragsparteien darüber einig sind.

Herr Bökamp, bliebe dann nicht letztlich alles beim Alten?

Bökamp: Ich denke, ja. Wenn der Deutsche Baugerichtstag für seine Empfehlung auf die Rechts- und Vertragspraxis abstellt, hat das ja seinen guten Grund. Man kann zwar theoretisch Abweichungen mit dem Bauherrn vereinbaren, aber die Anforderungen an die Hinweis- und Aufklärungspflichten des Planenden sind so streng, dass kaum jemand das Risiko eingehen wird. Dies lässt sich auch nicht durch Musterverträge, die der AGB-Kontrolle unterliegen, regeln. Deshalb ja unser Appell: Der Rechtsrahmen für Fragen der Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik und den daraus entstehenden Rechtsproblemen sollte nicht der Rechtsprechung überlassen bleiben, sondern vom Gesetzgeber so weit wie möglich festgelegt werden.

Sehen Sie das auch so, Frau Gebhard?

Gebhard: Absolut. Die Haftungsgefahren sind einfach zu hoch und letztlich nicht kalkulierbar. Und die Berufshaftpflichtversicherungen gewähren in solchen Fällen im Zweifel auch keinen Versicherungsschutz.

Buschmann: Wir müssen sehen, dass wir es nicht nur mit dem Verhältnis Planer – Bauherr zu tun haben, sondern auch mit den bauausführenden Unternehmen, vor allen Dingen aber auch mit potenziellen Mietern und Käufern des Objekts. Insoweit könnten Minderungsansprüche wegen Mängeln an Eigentums- oder Mietobjekten eine Rolle spielen. Das muss man sich genau anschauen und bei der Bestimmung der Bauqualitäten, beispielsweise der einzubauenden Trittschalldämmung, im Blick haben. Unabhängig davon muss letztlich der Bauherr bestimmen, ob und inwieweit er bei seinem Bauwerk von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abweichen möchte.

Ich würde mich in diesem Gespräch trotzdem auf das Verhältnis Planer – Bauherr konzentrieren wollen. Angenommen, der Bauherr möchte weniger Normen und Regeln: Wie könnte denn das Risiko des Planers begrenzt werden, später trotzdem in Anspruch genommen zu werden?

Buschmann: Umfang und Ausmaß der von Ihnen richtigerweise angesprochenen Hinweis- und Aufklärungspflichten hängen vom jeweiligen Einzelfall ab – insbesondere auch davon, welches Wissen der Bauherr selbst mitbringt. Bei Verbraucherbauherren wird der Planende erhebliche Informations- und auch Dokumentationspflichten haben. Anders sieht es bei Bauherren aus, bei denen Bauen quasi das Geschäftsmodell ausmacht, insbesondere öffentliche, genossenschaftliche und private Wohnungsbauunternehmen. Hier sind die Aufklärungspflichten des Planers wesentlich geringer oder bestehen gar nicht, wenn zum Beispiel der Bauherr selbst eine Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik vorgibt.

Bökamp: Sie spielen auf ein Urteil des OLG Stuttgart aus dem Jahr 2011 an. Aber ist nicht gerade dieses Urteil das beste Beispiel für gesetzlichen Regelungsbedarf? Der Planer hat den Prozess zwar letztlich gewonnen, aber offenbar rechnete sich der klagende Bauherr gewisse Chancen aus. Und das Gericht hat in langen Ausführungen darlegen müssen, weshalb in diesem speziellen Einzelfall eine Haftung des Planers ausnahmsweise nicht infrage kommt. Niemand weiß, ob ein anderes Gericht nicht gegebenenfalls anders entschieden hätte.

Buschmann: Die Gerichte treffen ihre Entscheidungen auf Basis des jeweils konkreten Falles. Der Umfang oder die Grenzen von Hinweis- und Aufklärungspflichten des Planers lassen sich jedenfalls nicht gesetzgeberisch pauschal festlegen.

Gebhard: Das ist das Problem. Und deshalb sollte das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt werden. Hinter dem als Gebäudetyp-e bezeichneten Planungsansatz steht als Idealform nämlich gar nicht die Idee, einzelne Abweichungen von allgemein anerkannten Regeln der Technik nach unten zu vereinbaren. Vielmehr sollte von vornherein nur das geschuldet sein, was zwingend erforderlich ist, um das Bauordnungsrecht und andere gesetzliche Vorgaben einzuhalten. Mit anderen Worten: Alles, was darüber hinausgeht, vor allen Dingen an Komfortstandards, muss ausdrücklich vereinbart werden. Das kann und sollte natürlich nur bei professionellen Bauherren gelten.

Bökamp: Vor ein paar Jahren hat die Baukostensenkungskommission über das BBSR ein Gutachten erstellen lassen, in dem im Grunde genommen schon die Fragen untersucht wurden, mit denen wir uns heute unter dem Stichwort Gebäudetyp-e beschäftigen. Darin wird an einer Stelle genau der von Andrea Gebhard angesprochene Ansatz in die Diskussion gebracht. Es heißt dort: „Sollte der Gesetzgeber das Ziel anstreben, dass auch zivilrechtlich regelmäßig nur der Mindeststandard der Technischen Baubestimmungen geschuldet wird, falls nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt wird, müsste dies durch eine entsprechende Änderung des Zivilrechts (BGB) vollzogen werden.“ In dem gerade reformierten Bauvertragsrecht hat dieser Gesichtspunkt allerdings keine Rolle gespielt, weshalb genau dies jetzt nochmals juristisch aufgearbeitet werden sollte.

Herr Buschmann, wäre es nicht vielleicht an der Zeit, diesen Ansatz jetzt aufzugreifen?

Buschmann: Das ist durchaus ein interessanter Ansatz. Klar ist: Für eine solche Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses müsste das BGB geändert werden. Wir sind uns alle einig, dass Planen und Bauen einfacher, kostengünstiger und innovativer werden müssen. Das ist ein gesamtgesellschaftlicher, aber natürlich vor allem auch politischer Auftrag. Deshalb stehe ich bei den laufenden Arbeitsgesprächen zwischen meinem Ministerium, dem Bauministerium und der Bundesarchitekten- und Bundesingenieurkammer einer möglichen zivilrechtlichen Flankierung für den Gebäudetyp-e offen gegenüber.

(Dieser Artikel erscheint in gleicher Form unter der Titelzeile „Wo liegt der Hase wirklich im Pfeffer“ in der Oktober-Ausgabe 2023 des Deutschen Architektenblatts)

Titelfoto: © Greg Rosenke/unsplash
Fotos: © FDP/photothek/Jörg Carstensen/Bundesingenieurkammer

Wohnungsbaugipfel: Bund und Länder müssen nun die nächsten Hürden nehmen

Wohnungsbaugipfel: Bund und Länder müssen nun die nächsten Hürden nehmen 150 150 Bundesingenieurkammer

Berlin, 25. September 2023. Wie vom Bausektor gefordert, hat die Bundesregierung ein Gesamtpaket mit Maßnahmen geschnürt, das kurzfristig den Wohnungsbau in Deutschland wiederbeleben soll. Viele der Punkte wurden in den letzten Wochen und Monaten zwischen Wirtschaft und Politik ausgehandelt und stellen einen guten Kompromiss dar. Ob jedoch die neu bereitgestellten Gelder und Steuererleichterungen den Baumotor soweit hochfahren, dass der dringend benötigte Wohnraum im entsprechenden Umfang geschaffen wird, bleibt abzuwarten. Wichtig ist, in den nächsten Wochen und Monaten wieder für Planungssicherheit und Vertrauen bei Investoren und Häuslebauern zu sorgen. Den Ländern und der im November stattfindenden Bauministerkonferenz der Länder fällt nun eine zentrale Rolle zu. Hier wird sich zeigen, ob dem heute vorgestellten Maßnahmenkatalog auch wirklich Taten folgen werden.

Die Genehmigungs- und Planungsverfahren zu beschleunigen, ist eine der Forderungen der Ingenieurkammern. Die Einführung des digitalen Bauantrags zeigt jedoch, wie langwierig solche Prozesse sind. Sollte die Genehmigungsfiktion von 3 Monaten umgesetzt werden, so wäre dies aus Sicht der Bundesingenieurkammer ein wirklicher Fortschritt.

Die Bundesingenieurkammer begrüßt, dass mehr Augenmerk auf das Bauen im Bestand, das ressourcenschonende Bauen und die Kreislauffähigkeit von Baumaterialien gelegt wird. Innovationen am Bau und die Forschung müssen hierzu jedoch entsprechend gefördert, der Rechtsrahmen zügig angepasst werden. Die CO2-Reduktion im Gebäudesektor und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Bundesingenieurkammer hat immer betont, dass der Bausektor in der Lage sein muss, beide Ziele zu erreichen. Die vorgestellten Maßnahmen und Anpassungen in diesem Bereich sind ein gut abgestimmtes Maßnahmenpaket. Der öffentlichen Hand als Auftraggeber fällt bei Nachhaltigkeit und Digitalisierung am Bau eine Vorbildrolle zu – sie muss hier vorangehen.

Dr. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer, zum Wohnungsbaugipfel des Bundeskanzlers: „Wohnungsbau ist auch immer Sozialpolitik – doch leider ist bezahlbarer Wohnraum aktuell Mangelware. Die Schaffung von Wohneigentum sollte breiten Bevölkerungsteilen ermöglicht werden. Deshalb ist es wichtig, dass sich der Kanzler und die Bundesregierung ressortübergreifend diesen Themen angenommen haben. Ein Gesamtpaket wurde geschnürt, das hoffentlich nun den gewünschten Effekt hat. Die Hürden der ‚Leistungsphase null‘ wurden genommen, wir müssen jetzt endlich in die Umsetzung kommen.“

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Bündnis für bezahlbaren Wohnraum

Wohnungsbaugipfel: Bund und Länder müssen nun die nächsten Hürden nehmen

Wohnungsbaugipfel: Bund und Länder müssen nun die nächsten Hürden nehmen 2560 1440 Bundesingenieurkammer

Wie vom Bausektor gefordert, hat die Bundesregierung ein Gesamtpaket mit Maßnahmen geschnürt und beim Wohnungsbaugipfel des Bundeskanzlers am 25. September 2023 vorgestellt. Dieses soll kurzfristig den Wohnungsbau in Deutschland wiederbeleben. Viele der Punkte wurden in den letzten Wochen und Monaten zwischen Wirtschaft und Politik ausgehandelt und stellen einen guten Kompromiss dar. Ob jedoch die neu bereitgestellten Gelder und Steuererleichterungen den Baumotor soweit hochfahren, dass der dringend benötigte Wohnraum im entsprechenden Umfang geschaffen wird, bleibt abzuwarten. Wichtig ist, in den nächsten Wochen und Monaten wieder für Planungssicherheit und Vertrauen bei Investoren und Häuslebauern zu sorgen. Den Ländern und der im November stattfindenden Bauministerkonferenz der Länder fällt nun eine zentrale Rolle zu. Hier wird sich zeigen, ob dem heute vorgestellten Maßnahmenkatalog auch wirklich Taten folgen werden.

Die Genehmigungs- und Planungsverfahren zu beschleunigen, ist eine der Forderungen der Ingenieurkammern. Die Einführung des digitalen Bauantrags zeigt jedoch, wie langwierig solche Prozesse sind. Sollte die Genehmigungsfiktion von 3 Monaten umgesetzt werden, so wäre dies aus Sicht der Bundesingenieurkammer ein wirklicher Fortschritt.

Die Bundesingenieurkammer begrüßt, dass mehr Augenmerk auf das Bauen im Bestand, das ressourcenschonende Bauen und die Kreislauffähigkeit von Baumaterialien gelegt wird. Innovationen am Bau und die Forschung müssen hierzu jedoch entsprechend gefördert, der Rechtsrahmen zügig angepasst werden. Die CO2-Reduktion im Gebäudesektor und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Bundesingenieurkammer hat immer betont, dass der Bausektor in der Lage sein muss, beide Ziele zu erreichen. Die vorgestellten Maßnahmen und Anpassungen in diesem Bereich sind ein gut abgestimmtes Maßnahmenpaket. Der öffentlichen Hand als Auftraggeber fällt bei Nachhaltigkeit und Digitalisierung am Bau eine Vorbildrolle zu – sie muss hier vorangehen.

Dr. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer, zum Wohnungsbaugipfel des Bundeskanzlers: „Wohnungsbau ist auch immer Sozialpolitik – doch leider ist bezahlbarer Wohnraum aktuell Mangelware. Die Schaffung von Wohneigentum sollte breiten Bevölkerungsteilen ermöglicht werden. Deshalb ist es wichtig, dass sich der Kanzler und die Bundesregierung ressortübergreifend diesen Themen angenommen haben. Ein Gesamtpaket wurde geschnürt, das hoffentlich nun den gewünschten Effekt hat. Die Hürden der ‚Leistungsphase null‘ wurden genommen, wir müssen jetzt endlich in die Umsetzung kommen.“

Fotos: @BMWSB / Henning Schacht

Humboldt Universität Architekten- und Ingenieurrecht

Jahreskongress Architekten- und Ingenieurrecht 2023

Jahreskongress Architekten- und Ingenieurrecht 2023 2400 1350 Bundesingenieurkammer

Auch in diesem Jahr findet  der Kongress zum Architekten- und Ingenieurrecht wieder in der Humboldt-Universität Berlin statt. Das Expertenforum widmet sich am 16. November 2023 aktuellen Themen des Architekten- und Ingenieurrechts. Neben Themen wie die HOAI und der aktuellen Rechtsprechung des BGH steht auch der „Gebäudetyp-e“ sowie das nachhaltige und bezahlbare Bauen auf dem Programm.

Die Bundesingenieurkammer ist Partner des Kongresses: Kammermitglieder und Mitarbeiter der Kammern erhalten einen Nachlass in Höhe von 50 Euro auf den Tagungsbeitrag.

Die Anmeldung zum Kongress bzw. zum Vorabendprogramm ist hier möglich.

Programm: Kongress & Vorabend

Grußwort Bundesbauministerin Klara Geywitz

Neueste Rechtsprechung des BGH zum Architekten- und Ingenieurrecht
RiBGH Prof. Dr.jur. Andreas Jurgeleit, VII. Zivilsenat (Bausenat)

Gebäudetyp-e – Chance und Herausforderung
Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer
Prof. Dr. jur. Winfried Kluth, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
RA Dr. jur. Achim Olrik Vogel, München

Podiumsdiskussion zum Thema „Nachhaltiges und bezahlbares Bauen“
Prof. Stefan Behnisch
, Architekt Boston, München, Stuttgart
Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer
Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer
Prof. Dr. jur. Winfried Kluth, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
RA Dr. jur. Achim Olrik Vogel, München
Moderation: Prof. Dr. Dr. Horst G. Rustmeier

HOAI – Reformdiskussion aus erster Hand
RA Prof. Dr. jur. Heiko Fuchs, Mönchengladbach
Dipl.-Ing. Klaus D. Abraham, Vorstandsvorsitzender des AHO

„Die aktuelle Rechtsfrage und ihre Lösung“
Prof. Dr. jur. Wolfgang Voit, Philipps-Universität Marburg

Vorabendprogramm am 15. November 2023: Exklusive Museumsnacht auf der Museumsinsel
Führung: Prof. Dr. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Foto: © Stanley Gavino/unsplash

Zeltdach des Olympiastadions München als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet

Zeltdach des Olympiastadions München als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet 150 150 Bundesingenieurkammer

Transparent, überraschend, innovativ und ungewöhnlich

Das Zeltdach des Olympiastadions München wird als „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ ausgezeichnet

München, 22. September 2023. Am 22. September 2023 wurde das Zeltdach des Olympiastadions in München mit der Auszeichnung „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ geehrt. Vor rund 100 Gästen fand die feierliche Preisverleihung und die Enthüllung der Ehrentafel am Olympiastadion statt.
Zu den Olympischen Spielen 1972 fertiggestellt, ist das Zeltdach noch heute für den Ingenieurbau prägend. Das Bauwerk zeichnet sich dadurch aus, dass modernste, weitgehend eigens dafür entwickelte Techniken zum Einsatz kamen. Die zahlreichen Entwicklungen waren später noch für die Konstruktion von Dächern und Brücken richtungsweisend. Hierzu zählen die Erdanker, das dehnbare, hochpräzise, vorgefertigte Seilnetze sowie der erste große CAD-Einsatz – um nur einige zu nennen. Die aus dem Bau des Zeltdaches gewonnenen Erkenntnisse wurden später aufgearbeitet und weiter erforscht. So wurde in Zusammenarbeit mit den beteiligten Ingenieurbüros ein eigener Forschungsbereich an der Universität Stuttgart gegründet, der seitdem weltweite Anerkennung genießt. Der Innovationsgeist und Mut von damals dienen heute noch vielen Ingenieurinnen und Ingenieuren als Vorbild.

Bayerns Bauminister Christian Bernreiter, der terminbedingt nicht an der Ehrung teilnehmen konnte, hat durch seinen ursprünglichen Beruf eine besondere Verbindung zur Zeltdachkonstruktion: „Als Stahlbau- und Schweißfachingenieur bewundere ich das Zeltdach des Olympiastadions sehr. Zusammen mit dem Olympiapark gibt es der Stadt München ein einzigartiges Gesicht und hat einen großen Wert für die Bürgerinnen und Bürger. Jedes Jahr kommen Touristen aus aller Welt, um diesen charakteristischen Ort mit seiner einzigartigen Wirkung zu besichtigen. Dass die einzigartige Ingenieurbaukunst nun besonders geehrt wird, ist absolut verdient.“

Die Münchner Stadtbaurätin Prof. Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk betont: „Das transparente Zeltdach des Olympiageländes steht für Durchlässigkeit und Leichtigkeit. Es wurde als Symbol der Demokratie geschaffen. Ein Wahrzeichen, dessen geniale Architektur und Ingenieurbaukunst die gebaute Philosophie der Baukultur verkörpert.“

„Ich freue mich, dass mit dieser Auszeichnung die herausragenden Ingenieurleistungen, die dieses einzigartige Zeltdach erst möglich gemacht haben, für jedermann sichtbar gemacht werden“, unterstreicht Prof. Dr. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau über die Ehrung.

Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer, kommentiert: „Wenn der Architekt Günter Behnisch die Überdachung nach Fertigstellung transparent, überraschend, innovativ und ungewöhnlich nennen konnte, so lag dies an der engen Verzahnung von Architektur und Ingenieurbau. Auch hier hat das Bauwerk noch heute Vorbildcharakter. Das Zusammenspiel von Gestaltung und Technik sowie die Zusammenarbeit mit dem Handwerk machen das Zeltdach zum Symbol deutscher Ingenieurbaukunst. Es freut mich sehr, diese Auszeichnung im Namen der Bundesingenieurkammer zu verleihen, denn auch für mich waren die Ingenieurleistungen des Zeltdaches prägend.“

Die Auszeichnungsreihe „Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ wird unterstützt vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB), den Ingenieurkammern der Länder und dem gemeinnützigen Förderverein „Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“. Die Auszeichnung erhalten historisch besonders bedeutende Ingenieurbauwerke, die mindestens 50 Jahre alt sind. Das Zeltdach des Münchner Olympiastadions ist das vierte bayerische Bauwerk, das diesen Titel tragen darf. Bundesweit wurden seit 2007 mit dem heutigen Tag 30 Bauwerke ausgezeichnet.

Weitere Informationen: Eine Idee wird Realität – wie das Zeltdach des Olympiastadions München den Ingenieurbau Deutschlands prägte

zur Auszeichnung

Filmische Dokumentation

Webseite Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland

Kontakt:
Eva Hämmerle
Kommunikation & Presse
+49 (0) 30-2589 882-23
haemmerle@bingk.de
www.bingk.de

Zeltdach Olympiapark München

Eine Idee wird Realität – das Zeltdach des Olympiastadions München

Eine Idee wird Realität – das Zeltdach des Olympiastadions München 2560 1440 Bundesingenieurkammer

Eine Idee wird Realität – wie das Zeltdach des Olympiastadions München den Ingenieurbau Deutschlands prägte

Zu den Olympischen Spielen in München 1972 fertiggestellt, ist die Zeltdachkonstruktion für den Ingenieurbau prägend. Das Zeltdach des Olympiastadions zeichnet sich dadurch aus, dass für die damalige Zeit modernste, weitgehend eigens dafür entwickelte Techniken zum Einsatz kamen. Die zahlreichen Entwicklungen waren später noch für die Konstruktion von Dächern und Brücken richtungsweisend. Die aus dem Bau des Zeltdaches gewonnenen Erkenntnisse wurden aufgearbeitet und weiter erforscht. So wurde in Zusammenarbeit mit den beteiligten Büros eigene Sonderforschungsbereiche an der Universität Stuttgart gegründet.

Auch die enge Zusammenarbeit von Architektur und Ingenieurbau gilt heute noch als vorbildlich. Mut und Innovationsgeist der damaligen Projektteams waren Ausgangspunkt für die Gründung namhafter Ingenieurbüros mit weltweiter Strahlkraft. Die Idee der Architekten um Günter Behnisch wurde erst durch die Ingenieurleistung möglich und zu einem heutigen Wahrzeichen Münchens. Die Realisierung des Zeltdaches war mit formgebend für die Architektur des Olympiaparks. Am 22. September 2023 wird das Zeltdach des Olympiastadions München nun mit der Auszeichnung „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ geehrt.

Eine Idee wird Realität – das Wettbewerbsmotto

Der 1967 ausgeschriebene Wettbewerb lautete: „Spiele im Grünen, Olympiade der kurzen Wege, Fest der Musen und des Sports, Spiele der Jugend“. Entwurf und Gestaltung der Sportstätten und des Olympiaparks wirken heute noch als die ideale Übersetzung des Wettbewerbsmottos. Als Erdstadion konzeptioniert, mit Verbindung von Topografie und Architektur, und Einbindung in eine Parklandschaft ist der Olympiapark aktuell noch ein Beispiel für nachhaltiges Bauen. Die transparente und wenig monumentale Anmutung sowie der ressourcenschonende Materialeinsatz des Zeltdaches tragen ihr Übriges dazu bei.

Eine Idee wird Realität – das Zeltdach

Die Idee des Zeltdaches ging auf den durch den Architekten Frei Otto erbauten Deutschen Pavillon für die Expo 1967 in Montreal zurück. Die angedachte Überdachung des Olympiastadions und des gesamten Olympiaparks stieß jedoch in völlig neue Dimensionen vor. Eine 1:1-Umsetzung des Entwurfs war nicht möglich, die Realisierung eines Zeltdaches in dieser Größenordnung technisch, zeitlich und finanziell umstritten. Nur durch die Zusammenarbeit einer Vielzahl von Ingenieuren unter Leitung von Jörg Schlaich mit enger Verzahnung der planenden Berufe konnte es in seiner abschließenden Form realisiert werden. Das Zeltdach als Unikat löste eine Vielzahl an Innovationen für den heutigen Bau von Brücken und Dächern aus. Dazu zählen u. a. die Weiterentwicklung der Stahlgusstechnologie, dauerschwingfeste Verankerungen und Klemmen für Seile und Litzen sowie die enge Umlenkung verschlossener Seile, die dehnbaren, hochpräzisen, vorgefertigten Seilnetze, der erste große CAD-Einsatz und die Erd-Anker.

Eine Idee wird Realität – die lichtdurchlässige Dachhaut

Das Material, mit dem die Dachhaut erstellt werden sollte, war lange umstritten. Das Entwurfsmodell aus Feinstrumpfhosen brauchte eine realisierbare Lösung. Eine Tuchlösung wurde verworfen. PVC-Folien- und Metallschindeleindeckungen standen ebenfalls zur Diskussion. Letztlich bekam die heutige Acrylglaseindeckung den Zuschlag. Ausschlaggebend war hier die Erfahrung der Olympischen Spiele 1968 in Mexico City: Die Qualität der Fernsehbilder litt unter dem Schattenwurf des Stadiondaches. Man näherte sich damit auch der Entwurfsidee einer lichtdurchlässigen Dachhaut an. Aufwendig wurde die Eignung des Materials getestet. Das Acrylglas durfte im Brandfall weder weiterbrennen noch abtropfen. Ein Brechen unter Schneelast musste verhindert werden. Zudem wurden Montage und Instandhaltung durch die Begehbarkeit des Daches berücksichtigt.

Eine Idee wird Realität – computerbasierte Berechnungen

Bereits als der Bau des Zeltdaches begonnen hatte, fand Professor John H. Argyris (Universität Stuttgart) ein mathematisch-elektronisches Berechnungsverfahren, das es ermöglichte, leichte räumliche Tragwerke in den Dimensionen des Daches exakt zu berechnen. So wurden die Bewegungen von hunderten Seilknoten in Rastermaßen bei Belastung simuliert. Denn drückt die Last auf einen beliebigen Knoten, bewegen sich sämtliche Punkte in drei Dimensionen – Simulationen, die ohne computerbasierte Modelle kaum nachvollziehbar abzubilden gewesen wären. Auch in diesem Bereich wurden neue Maßstäbe für den weiteren Ingenieurbau gesetzt.

Details zum Zeltdach des Olympiastadions

Zum größten Teil überspannt das Dach die Haupttribüne auf der Westseite des Stadions, mit etwa 34.550 Quadratmetern. Jeweils zwei 70 Meter hohe und sechs etwas kleinere Masten wurden errichtet. Deren Abspannungen wurden an den Tiefpunkten hinter der Tribüne verankert. Da Stützen im Tribünenbereich vermieden werden sollten und eine Verankerung auf der Vorderseite der Tribüne im Bereich des Spielfelds ausschied, wurde ein 440 Meter langes Rundseil gespannt. Es verläuft im Bogen von der Nordseite des Stadions über die Haupttribüne bis zur Südseite. Zur Verankerung an den Endpunkten des Rundseils dienen 4.000 Tonnen schwere Betonquader, die teilweise bis zu 30 Meter tief im Boden eingelassen sind. Auf dem Rundseil sind zwei der vier Flutlichtbatterien befestigt. Mehr als 12.700 Plexiglasplatten wurden insgesamt für das Zeltdach verwendet. Die Abstände zwischen den Knotenpunkten wurden auf 75 cm festgelegt.

Planungsbeteiligte Zeltdach Olympiapark

Bauherr: Olympia-Baugesellschaft mbH; Hauptgeschäftsführer Carl Mertz

Entwurf, Ausführungsplanung und künstlerische Oberleitung – Architekten und Ingenieure

  • Behnisch & Partner: Fritz Auer, Winfried Büxel, Johannes Albrecht, Horst Stockburger, Cord Wehrse
  • Frei Otto: Ewald Bubner, Ulrich Hangleitner, Matthias Kreuz
  • Leonhardt und Andrä: Jörg Schlaich, Rudolf Bergermann, Knut Gabriel, Günter Mayr, Ulrich Otto

Ingenieure in beratender Funktion und Institute

  • Bauphysik und Materialtechnik: Prof. Wilhelm Schaupp
  • Prüfingenieur: Prof. Herbert Kupfer
  • Messmodelle: Institut für Leichte Flächentragwerke, Technische Universität Stuttgart, Prof. Frei Otto
  • Tages- und Kunstlichtverhältnisse: Institut für Lichttechnik, Technische Universität Berlin, Prof. Jürgen Kochmann
  • Bodenmechanik: Institut für Grundbau und Bodenmechanik, Technische Universität München, Prof. Richard Jelinek
  • Vermessung: Institut für Anwendung der Geodäsie im Bauwesen Technische Universität Stuttgart, Prof. Klaus Linkwitz
  • Mathematisch-elektronische Berechnung: Institut für Statik und Dynamik der Luft- und Raumfahrtkonstruktionen, Technische Universität Stuttgart, Prof. John H. Argyris
  • Windkanaluntersuchungen: Bayerische Landesgewerbeanstalt München

Stahlbauarbeiten
Arbeitsgemeinschaft Stahlbau Dach: Aug. Klönne Friedrich Krupp GmbH, Maschinen- und Stahlbau Rheinstahl-Union AG, Steffens & Nölle GmbH, Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke AG, Waagner-Biro AG

Dachhaut
Arbeitsgemeinschaft Olympia-Lichtdach: Rheinhold & Mahla GmbH (Mannheim), Schöninger GmbH (München)

Bauchronik

13.10.1967: Günter Behnisch & Partner (B & P) gewinnen den 1. Preis des Wettbewerbs

1.3.1968: Offizieller Auftrag an B & P für das Sportstättenensemble der Olympischen Spiele

21.6.1968: Entscheidung zugunsten einer Kabelnetzkonstruktion für das olympische Dach; Team B & P, Frei Otto, Leonhardt & Andrä

14.8.1969: Grundsteinlegung der Olympiabauten

August 1970: Beginn der Dachmontage (Mast und Vorbereitung der Abspannseile)

Mai 1971: Beginn der Dachmontage (vorgefertigte Kabelnetze und Vorspannprozess)

August 1971: Montage von Acrylglasscheiben auf dem Kabelnetz

Mai 1972: Fertigstellung der Dacharbeiten

26.5.1972: Eröffnung des Stadions mit dem Fußballfreundschaftsspiel BRD vs. Sowjetunion

26.8. – 11.9.1972: XX. Olympische Sommerspiele 1972 in München

Literatur: Fritz Auer: Ein Zeltdach für München und die Welt; 2022; ISBN 978-3-96233-322-5

Foto: © Hello Studio W/BIngK

Film: © Hello Studio W/BIngK

Auf ein Wort: Bundesregierung muss gegensteuern

Auf ein Wort: Bundesregierung muss gegensteuern

Auf ein Wort: Bundesregierung muss gegensteuern 2560 1440 Bundesingenieurkammer

Die aktuellen Zahlen zum Wohnungsbau in Deutschland und die sich fortsetzenden negativen Entwicklungen im Bausektor sind alarmierend. Gut, dass die Bauwirtschaft hier in den letzten Wochen nochmal lauter wurde. Denn es ist unverständlich und geradezu fahrlässig, dass die Bundesregierung nicht längst unserer Branche effektiv zur Seite gesprungen ist. So ist doch der Bausektor der wichtigste Wirtschaftszweig der deutschen Volkswirtschaft – mit einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 10 Prozent. Jetzt muss gegengesteuert werden, um den Auswirkungen von Pandemie und Ukrainekrieg und ihren Folgen wie Inflation, steigenden Zinsen und Energiekosten entgegenzuwirken. Denn dies sind alles Entwicklungen, auf die die Bauwirtschaft keinen direkten Einfluss hat und die nicht „industriegemacht“ sind. Den Gesprächsrunden mit dem Bundeskanzler und der Bundesregierung, an denen die Bundesingenieurkammer für die deutschen Ingenieurinnen und Ingenieure teilnimmt und die Stimme erhebt, müssen auch Taten folgen. Förderungen und Investitionen im Gießkannenprinzip sind keine adäquaten Antworten. Wenn in den nächsten Wochen und Monaten nicht umfassend reagiert wird, wirkt sich dies anhaltend auf die volkswirtschaftlichen Kennzahlen Deutschlands aus.

Ein schwieriges wirtschaftliches Umfeld darf uns aber nicht lähmen. Gerade in solchen Zeiten sind Pioniergeist, Unternehmertum und wirtschaftlicher Mut gefragt. Die kleinen und mittelgroßen freiberuflichen Strukturen der Ingenieurbüros verfügen grundsätzlich über die nötige Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. So können Klima-, Bau- und Energiewende nur mit den Planungsstrukturen der kleinen und mittelgroßen Büros in den Regionen in der notwendigen Schnelligkeit umgesetzt werden. Doch auch hier müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Gewollt oder ungewollt, die Zeichen der Politik stehen leider aktuell nicht auf der Förderung des Unternehmertums und der Freiberuflichkeit. Die Änderungen des Vergaberechts, überbordende Bürokratisierung und der Fachkräftemangel drohen zu strukturellen Verwerfungen beim Planen und Bauen zu führen. Strukturen, die seit Jahrzehnten für erfolgreiches Wirtschaften stehen und zum wirtschaftlichen Wachstum nicht nur in den Ballungszentren, sondern bundesweit beigetragen haben. Dieses Erfolgsmodell eines flächendeckenden und ausreichenden Planungsangebotes sollte nicht leichtsinnig aufs Spiel gesetzt werden. Die kräftezehrenden Transformationsbemühungen der Politik dürfen nicht dazu führen, gerade die Akteure aus dem Blick zu verlieren, die aktuell benötigt werden. Die planenden Berufe in ihrer jetzigen Struktur müssen gestärkt werden. Der nächsten Generation von Ingenieurinnen und Ingenieuren müssen Perspektiven aufgezeigt werden, um die Freiberuflichkeit nachhaltig zu stärken. Unternehmertum muss sich schlichtweg weiterhin lohnen.

Dr.-Ing. Heinrich Bökamp
Präsident der Bundesingenieurkammer

Fotos: (c) Scott Blake/unsplash

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